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K.o. und Wolkenbruch:
Samstag, 04. Februar 2017 17:55
Von: Dr. med. vet. Christiane Haupt

Über die Schwierigkeiten, Mauersegler in die Luft zu bringen

Tuuli & Joshi

Tuuli und Joshi stehen im wahrsten Sinne des Wortes zur Verfrachtung an! © C. Haupt

Cosima

Die kapriziöse Cosima aus Berlin ist ebenso schön wie eigenwillig. © C. Haupt

Sartorius

Sartorius aus Niemegk sieht aus, als sei er in ein Schneegestöber geraten. Eine hübsche Laune der Natur! © C. Haupt

Sergei

Der wilde Sergei aus Berlin pfeift auf Abschiedsfotos! © C. Haupt

Herakles

Herakles aus Am Mellensee möchte gern wissen, wann es endlich los geht. © C. Haupt

Vitus

Der aparte Berliner Vitus ist sich seiner Wirkung sehr wohl bewusst. Bei ihm sitzt jede Feder! © C. Haupt

Ravi

Ravi, mit allen Wassern gewaschen, strapaziert die Nerven der Fotografin bis auf's Äußerste. © C. Haupt

Okruszek

Okruszek, mein Krümel! Als struppiger Reisigbesen traf er ein, fast zugrunde gerichtet durch das fatale "Desselberger Mix". Jetzt breitet er stolze Schwingen und birst förmlich vor Energie und Unternehmungslust. © C. Haupt

Okruszek & Ravi

Letztes Foto in die provisorische Wohnbox im Quartier auf Fuerteventura. Okruszek und Ravi schauen interessiert aus dem Fenster. © C. Haupt

Priya

Die bildschöne Priya ist Startflieger der zweiten Gruppe! © C. Haupt


Diesmal begann die Reise fast mit einem strategischen Knockout. Die Kofferwaage ist zweifellos ein nützliches Utensil, wenn es darum geht, den Überseekoffer mit haargenau 25 kg zu befüllen, - was beim umfangreichen Vogelequipment schnell erreicht ist. Reißt aber blöderweise die Aufhängung, wenn ein kleiner 50kg-Mensch gerade die Hälfte seines Körpergewichtes hochwuchtet, verwandelt sich das nützliche Utensil in einen Schlagring. Ich saß also nachts um zwei benommen auf dem Küchenfußboden und kühlte mein rasch anschwellendes Kinn. Beim Einpacken der flugbereiten Vögel im dunklen Vogelzimmer wenig später stören die vor den Augen tanzenden Sterne. Der Kinnhaken hatte es in sich!

Am Flughafen wieder das übliche Procedere. 14 hektische und nervöse Mauersegler in zwei Taschen umtopfen, damit die Reisebox durchleuchtet werden kann, tausend Erklärungen abgeben, nein, die fliegen da nicht raus, ja, die sind ziemlich aufgeregt, nein, die werden nicht verkauft, sondern freigelassen. „Darf ich mal einen streicheln??“ Okay, das muss jetzt nicht sein, aber besser man macht gute Miene zum bösen Spiel. Immerhin kein positiver Sprengstofftest. „Ohh, sind die süß!!“ Ich setze die Segler zurück wie rohe Eier und beantworte einem Beamten, der interessiert mein mittlerweile farbenfrohes Kinn betrachtet, weitere Fragen zum Transport (er würde mir nicht glauben, dass es die Kofferwaage war).

Im Flugzeug atme ich auf. Nicht lange. Ich sitze hinter einem Kleinkind, das in unregelmäßigen Abständen ohne jede Vorwarnung hochfrequente Kreischtöne von sich gibt, mit denen man Glasscheiben sprengen könnte. Und neben der vor Begeisterung glucksenden und schnalzenden Oma desselben, die den freien Mittelplatz okkupiert hat und mir irgendwelches Babyzubehör in die Seite rammt. Ich schnaube und zische vor Ärger, doch die waffentaugliche Alarmsirene übertönt alles. Meine armen Segler …

Bis zur Landung auf Fuerteventura bin ich einem Herzinfarkt nahe. Fluchtartig verlasse ich das Flugzeug, um den nach Schnullern, Plüschtieren und Wickeltaschen suchenden Babyproduzenten zu entkommen, deren Hundertsiebensachen sich gerade über die Sitzreihen ergießen. Aufatmend nehme ich Mietwagenschlüssel und Gepäck in Empfang und stehe auf dem Parkplatz dem Problem gegenüber, mein Koffermonster in einem Opel Adam verstauen zu müssen. Der Kofferraum ist maximal für Blazer, Clutch und Laptop konzipiert, fahren solche Leute nie einkaufen? Letztlich geht es dann doch ohne Ausbau der Rückbank, bedarf aber einiger Akrobatik, auch noch die Vogelreisebox, meinen Rucksack und mich selbst unterzubringen.

Während ich über die Serpentinen Richtung La Oliva fahre und dann von Tindaya aus die endlose Piste zur Finca Esquinzo, schaue ich voller Sorge zum Himmel. Es ist kühl, bewölkt und windig. Nicht gerade mein Wunschwetter zum Freilassen von Mauerseglern! Auf der Finca angekommen, überschüttet mich Pancho besorgt mit Informationen über das Wetter am Starttag, denen ich entnehme, dass es ab Mittag regnen soll. Meine Stimmung sinkt dem Nullpunkt entgegen. Jetzt aber erstmal die geplagten Segler in bequemere Boxen umsetzen und füttern was das Zeug hält! Den Nachmittag über wälze ich Notfallpläne, von denen keiner realisierbar ist. Das Wetter soll sich auch in den nächsten Tagen nicht bessern. Außerdem würde das Futter nicht mehr ausreichen. Hoffen und beten, dass der Dienstag besser wird als erwartet! Die Segler und ich verbringen eine unruhige Nacht. Stürmische Winde pfeifen um die Finca. Ich habe die Heizdecken unter den Seglerboxen installiert. Brrr!

Am nächsten Morgen kommt es noch schlimmer. Es fängt an zu regnen. Mein heimischer Wetterfrosch, von mir verzweifelt angefunkt, meldet Sonne und leichte Bewölkung ab 13 Uhr. Der Kanaren-Wetterbericht, von Andrea und Pancho propagiert, beharrt trotzig auf Regen ab 13 Uhr. Ich raufe mir die Haare. 11 Uhr, es klart etwas auf. Wir beschließen zum Startplatz zu fahren. Mal gucken. Unterwegs setzt wieder leichter Nieselregen ein. Die Wolkendecke zieht sich bedrohlich zusammen, es wird immer dunkler. Nicht gut. Gar nicht gut! Als wir die Senke am Startplatz erreichen, entlädt sich ein Wolkenbruch apokalyptischen Ausmaßes. Immerhin, auf der Insel kann sowas schon mal passieren, und zehn Minuten später strahlt wieder die Sonne. Wir beschließen also zu warten. Sturzbäche ergießen sich über die Hänge. Die Segler verharren mäuschenstill in ihren Boxen und verstehen die Welt nicht mehr.
Andrea watet zu mir rüber. „Wir müssen aus der Senke raus. Sonst kommen wir hier nicht mehr weg.“ Der Einwand ist berechtigt. Ihr großer verbeulter Jeep hält dem Unwetter zwar noch stand, doch mein Mietwagen versinkt mit den ehemals schwarzlackierten Alufelgen im Matsch. Das fesche kleine Cabrio, Zierde jeder großstädtischen Flanierzeile, ist schlammbespritzt bis hoch zum Schiebedach und bietet einen Anblick, der seinen Designern die Tränen in die Augen treiben würde.

Wir manövrieren die Autos wieder zur Anhöhe empor. Wind kommt auf, plötzlich heben sich die Wolkenwände, der Regen hört auf als hätte jemand den Haupthahn abgedreht. Blauer Himmel, unfassbar! Sogar die Sonne lässt sich blicken, und sofort wird es warm. Wir beginnen wieder an den Start zu glauben, sind aber noch misstrauisch. „Sriii-sriii!“ aus den Boxen der wartenden Segler! Als dann der Montana de Tindaya aus den Wolken taucht und es ringsherum aufklart, wagen wir es! Schleppen die Boxen in den Hang und beziehen Stellung. Pancho winkt von gegenüber mit dem Fernglas. Andrea übernimmt die linke Flanke. Und hinter mir, auf der Anhöhe, steht Andrea II, die Praktikantin der Finca.

The New Berliners – jedenfalls 5 von ihnen! - machen den Anfang! Und ob es am kräftigen Wind liegt oder an ihrem unbändigbaren Freiheitsdrang: Cosima und Sartorius schießen mit einem Tempo davon, dass mir schwindlig wird. Links gedreht und mit dem Wind empor! Während ich Sergei aus der Box angele, sehe ich sie zusammen hoch oben am Himmel spielen. Ein wundervoller Anblick. Die kapriziöse Cosima, und Sartorius, der damals nach seiner Ankunft als halbverhungerter Nestling 3 Wochen um sein Leben kämpfte, ehe er sich stabilisierte! Sergei, Herakles und Vitus folgen ihnen mit demselben unglaublichen Speed und schlagen exakt dieselbe Richtung ein.
Nach diesen 5 prachtvollen Altseglern kommen nun 2 Juvenile: der gemütliche Ravi aus Recklinghausen, reichlichem Essen sehr zugetan, und Okruszek, mein wohlbeleibter polnischer Krümel, der sich wochenlang bevorzugt an meinem Hemdkragen aufhielt. Bis zum Schiften! Von da an war Okruszek, der kleine Ramskopf mit den funkelnden Augen, erwachsen. Und nun wollen beide nur noch weg! Sie werfen sich in den Wind, drehen ebenfalls nach links und entschwinden mit Lichtgeschwindigkeit. Das geht schneller als die Sinne erfassen können! Und das Wetter spielt mit – zwischen den Wolken gibt es genügend blaue und sonnige Bereiche, die unsere Mauersegler in ihrer neuen Heimat willkommen heißen.

Zweite Gruppe! Sie wird angeführt von dem wunderschönen Altvogel Priya aus Rutesheim, gleich gefolgt von – Baby Amédée! Zittrige Knie, Herzklopfen und Tränen in den Augen, als der einstige Winzling, der dem Tode geweiht schien, nun als prachtvoller Altsegler die Schwingen breitet und genauso mühelos wie alle anderen in den Himmel steigt. Ich merke erst jetzt, dass ich unendliche Sekunden lang die Luft angehalten habe… Rasmus, der fröhliche kleine Kämpfer aus Frankfurt, der schlanke windschnittige Joshi aus Suhl und Auriol aus Berlin, im letzten Sommer per Facebook-Staffette herangeholt, sind die nächsten, die ihren Gefährten haargenau in dieselbe Richtung nachfolgen, alle nach links und in den Wind drehend, und schnell wie Pfeile. Um Auriol, den seine Finder „die schwarze Perle“ nannten, habe ich besonders gezittert, denn mehrwöchige fatale Fehlernährung mit Fleisch haben nicht nur seinem Gefieder, sondern auch dem Skelett schwer geschadet. Doch monatelanges Training und das Schiften haben geholfen, Auriol erobert sein Element mit derselben Sicherheit wie seine Freunde!

Als letzte gehen unsere rumänischen Elben an den Start: Filaurel, stark und grimmig, und die schwergewichtige Layne! Clever nutzt Filaurel eine Windböe und stiebt davon. Nur Princess Layne muss unbedingt beweisen, dass sie es auch GEGEN heftigen Wind schafft …“Hoch hoch hoch!!“, brülle ich entnervt. Gottlob, 100 Meter Ruderei reichen ihr, sie dreht elegant ab und jagt wie ein Geschoss die Anhöhe hinauf und darüber hinweg.

Der Himmel ist leer! Gone with the wind! Wie betäubt packe ich die verlassenen Boxen zusammen. Dass es dann immer so schnell geht, nach so vielen Monaten des Wartens und Bangens… Freude und Melancholie halten sich die Waage! Andrea, Andrea und Pancho kommen herbei, es herrscht ausgelassene Stimmung, als wir durch die Pfützen zu den Autos hüpfen. Der erfolgreiche Start – widrigsten Bedingungen zum Trotze! - flasht uns für den Rest des Tages. Den Sekt vereinbaren wir für morgen abend, gemütlich zuhause. Sonnenschein begleitet uns heim zur Finca.

Später kehre ich noch einmal zum Startplatz zurück, lasse die Erinnerung an jeden einzelnen meiner Schützlinge Revue passieren und suche lange den leicht bewölkten Himmel ab. Die Sonne tut sich schwer, doch es ist mild, und mit dem Wind kommen sie zurecht, das haben sie bewiesen. Wo sie jetzt wohl sind …? Mögen sie für immer dort oben bleiben, alle miteinander, frei und glücklich! Good bye forever!

Buchenstraße 9
D-65933 Frankfurt

Tel.:+49(69)35 35 15 04
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