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14 Segler und der Schutzengel vom Montaña de Tindaya
Monday, 20. February 2017 19:25
Autor: Dr. med. vet. Christiane Haupt
Montaña de Tindaya

Wolken über dem Montaña de Tindaya. Der Tag nach dem Start war leider kühl und regnerisch. Aber es gibt viele Insekten! © C. Haupt

Yvette & Amadeus

Yvette (links) und Amadeus (oben) haben sehr viel füreinander, aber umso weniger für uns übrig. © C. Haupt

Malvina

Malvina aus Kiel sah wie ein abgebrochener Besen aus, als sie kam. Jetzt ist sie eine Schönheit! © C. Haupt

Florentinus

Der hitzköpfige Florentinus bot einst ebenfalls ein Bild des Jammers, davon ist nichts mehr zu sehen! © C. Haupt

Tuuli & Harlequin (Kohldampf, ständig!)

Tuuli und Harlequin sind reichlichem Essen sehr zugetan. © C. Haupt

Nieboraczek

Der sensible Nieboraczek ist bereit, in die große Welt aufzubrechen! © C. Haupt

Mio

Und Mio mein Mio! Manchmal werden Wunder wahr. © C. Haupt

Nieboraczek & Mio

Abschiedsfoto aus der provisorischen Wohnbox im Quartier! Nieboraczek schaut gespannt aus dem Fenster. Der neugierige Mio lässt sich von der Kamera ablenken. © C. Haupt

Startet für Rumänien: Alanna

Bei unserem Fünf-Nationen-Event mit Teilnehmern aus Deutschland, Italien, Frankreich, Polen und Rumänien geht die windschnittige Alanna für Rumänien an den Start! © C. Haupt

Diletta

Liebe, zarte kleine Diletta! Klein aber oho! © C. Haupt


Ich weiß diesmal nicht recht, wie ich anfangen soll. Freudige Hochstimmung, weil wieder 14 ganz besondere Mauersegler in die Freiheit aufbrechen dürfen, nach langer Zeit und endlosem Bangen und Zittern. Darunter Mio mein Mio und sein Gefährte Nieboraczek! Eine Reise voller Wunder erwartet mich …
Doch dann, am Vortag des Fluges, die Nachricht vom Tod eines Freundes auf Fuerteventura, den ich seit fast 10 Jahren kenne und der schon mehrfach bei Mauerseglerstarts dabei war. Jo Hammer, der Aussteiger und Querdenker. Jo der begnadete Fotograf, Jo der Historiker, unermüdlich auf den Spuren der versunkenen Guanchenkultur. Jo, der Steinesammler und Mystiker. Jo, der weise Freund des großen und geheimnisvollen Berges von Tindaya…Traurig und bedrückt treffe ich die letzten Reisevorbereitungen. Unsere Segler qualifizieren sich mit souveränen Runden im Trainingszimmer. Diesmal werden wir sie an den Himmel schicken im Gedenken an Jo!

Auf Fuerteventura empfangen uns Sonne und blauer Himmel. Die Vögel möchten am liebsten gleich durchstarten, anstatt zur Finca gekarrt, auf kleine Boxen verteilt und weiter mit der Pinzette gefüttert zu werden. Das Berliner Liebespaar Amadeus und Yvette, das jede in den Schnabel gesteckte Grille als persönlichen Affront wertet, quittiert die Fortsetzung der Fütterungen mit unmissverständlichem Abscheu. Auch die zarte Diletta aus Osnabrück und ihre temperamentvolle Reisebekanntschaft Alanna aus Bukarest haben es definitiv satt. Mega satt! Ich bin schweißgebadet, bis ich endlich zu meinem Sonnenschein Mio, dem kleinen Franzosen, und seinem treuen polnischen Freund Nieboraczek komme. Segler mit gesundem Appetit, die sich über das Essen freuen, anstatt es mir um die Ohren zu spucken! Ihre Nachbarn Malvina aus Kiel und Florentinus aus Geseke langen ebenfalls kräftig zu, und dass unsere „Moppelchen“, der Heidelberger Tuuli und Harlequin aus Aschaffenburg, keine Gelegenheit auslassen, sich die Wampe vollzuschlagen, ist wohlbekannt. Die letzten Vier – Karlis aus Stahnsdorf, die schöne Italienerin Arete, Jesper aus Lampertheim und der lange Balthasar aus Bechtheim – verhalten sich kooperativ und leeren brav den Grillenteller.

Zwischen den Fütterungen richte ich mich ein. Die Boxen werden so plaziert, dass die Segler aus dem Fenster schauen können. Fasziniert und mit zuckenden Schwingen betrachten sie den Himmel, während ich prosaisch den ersten Kaffee des Tages schlürfe. Kontemplativ geht der Tag zuende, nur meine notorischen Kotzbröckchen sorgen für Adrenalinschübe. Man würde sich ja fluchend die Haare raufen, - wenn sie nicht einen gar so entzückenden Augenaufschlag hätten!

Gewissenhaft absolvieren wir am Dienstag morgen noch zwei Fütterungen. Amadeus und Yvette geben mir zu verstehen, dass sie am heutigen Valentinstag von Luft und Liebe leben möchten, nicht von Grillen. Wir kommen überein, das ab 11.30 Uhr zu realisieren. Bei allen steigt die Aufregung… Um elf Uhr versammelt sich die Startmannschaft im Hof. Über die Schotterpisten brausen wir zum Startplatz. Das Herz schlägt mir bis zum Halse: Mio mein Mio wird heute fliegen! Pancho winkt gegenüber von der Bergkuppe. Andrea steht hinter mir auf der Anhöhe. Ich hole die Vorjährigen Amadeus und Yvette aus der Box. „Für Jo!“, rufe ich und strecke die Hände mit den zappelnden Seglern empor. Und so kommt es, dass zur selben Zeit, als Jo‘s sterbliche Überreste im Tanatorium von Puerto del Rosario zu Asche verbrennen, unsere Vögel jubelnd in den Himmel steigen, dem Montaña de Tindaya entgegen, von dessen Gipfel aus der beste aller Schutzengel fortan über sie wachen wird…

Der windschnelle große Amadeus und seine rundliche Liebste stieben nach rechts und links von dannen, auf herzförmiger Flugbahn, und treffen hoch oben aufeinander. Tja, Valentinstag eben! Die ruhige, stattliche Kielerin Malvina und ihr umtriebiger Freund Florentinus, dieser Wirrkopf, nehmen dieselbe Richtung und erfreuen uns durch Luftspiele über den steilen Hängen. Danach macht die fröhliche Tuuli ihrem Namen alle Ehre: „Tuuli“ bedeutet auf finnisch „Wind“, und von eben diesem lässt sie sich rasant davontragen. Harlequin, schwer und behäbig, pflügt erstmal dicht über den felsigen Boden, ehe er sich nach oben hebelt und, an Pancho vorbei, in Richtung des Bergmassivs zu meiner Rechten entschwindet.

Herzklopfen … nun kommt der sensible, melancholische Nieboraczek aus Polen, um den es lange Zeit so schlecht stand, dass wohl nicht einmal er selbst noch daran geglaubt hat, jemals die Freiheit zu gewinnen. Doch jetzt! Call of the wild! Mit blitzenden Augen windet er sich in meiner Hand. Ich gebe ihn frei, und Nieboraczek schießt durch die Senke davon und steigt … hat er jemals etwas anderes getan als zu fliegen!? Kloß im Hals, ein Puls von 150 und ein letztes Küsschen auf den federweichen Kopf: Mio mein Mio… „Mio mi pequeño Mio!“, echot Pancho von ferne. Mio springt, kaum dass ich die Hand erhebe, - kein schwächliches und bemitleidenswertes Etwas mehr, nein, ein Prachtkerl von einem Mauersegler, stark und entschlossen, ein Kämpfer, ein Sieger! Hochkonzentriert verfolge ich Mio‘s Zickzack-Kurs vor den weit entfernten Hängen des Montaña de Tindaya, dann verschwindet er hinter der Kuppe, auf der Pancho steht. Bange Momente… Wenig später erfahre ich von Pancho, dass Mio in der Talsenke auf seinen Freund Nieboraczek gestoßen und wunderbar hochgezogen ist. Jo, lieber Jo, du machst einen guten Job!

Die rassige Alanna aus Bukarest ist Startfliegerin der zweiten Gruppe und zeigt gleich mal wo‘s lang geht: steil und schnell nach ganz weit oben! Viva Romania! Unser kleines Sorgenkind Diletta ist die nächste. Die zarte Seglerin kommt niedrig ab, steigt dann rechts über die Kuppe und fliegt durch die Talsenke Richtung La Oliva. Ich hab sie im Fernglas und verfolge atemlos ihren leicht absinkenden Kurs. Ogott … was wird das … sie sinkt! Sie ist verschwunden! Sie ist … ist sie unten?? Ich muss sie suchen… Meine Augen irren hin und her. Plötzlich – ein Ruf! Hinter uns taucht Diletta über der Anhöhe auf, saust über Andrea hinweg und segelt in Richtung Atlantik davon. Zentnerschwere Steine fallen mir vom Herzen. Ich angele den flitzigen Jesper aus der Box, der vor Ungeduld so sehr zappelt, dass er fast eine Bauchlandung macht, ehe er sich im letzten Moment abfängt und einen sensationellen Steigflug hinlegt. Der lange Balthasar zeichnet sich auch nicht gerade durch Geduld und Bedachtsamkeit aus. Er dreht nach dem Absprung hangaufwärts nach hinten, schrammt über das stachelige Gestrüpp, dreht dann in den Wind und schießt funkenstiebend auf und davon. Zwei 2015er Superflieger machen den Abschluss. Mit der bildschönen Arete wirbeln italienisches Temperament, Feuer und Rasse über das Tal hinweg, dann schraubt sie sich mit wilder Eleganz in die Höhe. Der rabenschwarze Karlis hält es eher mit dem Grundsatz „In der Ruhe liegt die Kraft“ Souverän und gelassen folgt er Arete und entschwindet in der Ferne über den Bergen.

Benommen blinzele ich in den leeren Himmel. Mio mein Mio, wo seid ihr alle? Andrea kommt lachend auf mich zu, und Pancho gestikuliert schon von weitem. Der Start wird nochmals Vogel für Vogel durchgesprochen, wer hat wen wie und wohin fliegen und aufsteigen sehen? Besonders über Mio und Nieboraczek will ich alles ganz genau wissen. Langsam weicht die Anspannung, eine Welle von Emotionen schlägt über mir zusammen. Und bricht sich später endgültig Bahn, als die anderen fort sind und ich durch das Startgelände streife. Denn da höre ich sie plötzlich: Seglerrufe, laut und wild und strahlend. Und dann sehe ich sie. Hoch und frei, es sind unzählige, vielleicht 30, 40 oder mehr. Ich höre Fahlsegler rufen, eine ausgelassene Screaming Party am Himmel, und dazwischen, immer wieder, auch Mauersegler. 14…? Ich folge ihnen mit dem Fernglas, während mir Tränen über die Wangen laufen. Sie sind überall, wimmeln um den Berggipfel, streifen nach La Oliva und wieder Richtung Atlantik. Ein letztes Lebewohl, glücklich und wehmütig zugleich.

Gib acht auf sie, Jo! Wir sehen uns! Ich komme wieder!

Buchenstraße 9
D-65933 Frankfurt

Tel.:+49(69)35 35 15 04
Wir nehmen nur Segler an!

Telefonische Anfragen zu anderen Fundvögeln bearbeiten wir NICHT.

Wenden Sie sich dafür bitte an: Wildvogelhilfe.org/
 
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