Längst gehören die Massenstarts des Hochsommers der Vergangenheit an. Vorbei sind die Tage, an denen nach logistischer und organisatorischer Schwerstarbeit täglich wie am Fließband 10-15 quirlige Jungsegler an den Start gingen, wie die Gewehrkugeln aus dem Fenster des Trainingszimmers davonschossen und am Himmel von ihren Artgenossen in Empfang genommen wurden!
Inzwischen ist der Himmel leer, und seit der ansässige Turmfalke samt Nachwuchs mit Argusaugen auf einsam emporsteigende Mauersegler lauert, haben wir auch die Starts von Spätlingen in kleinen Grüppchen einstellen und uns nach einem neuen Startplatz umsehen müssen.
Jenseits des Mains, im kleinbürgerlichen Goldstein, entlassen wir nun unsere Schützlinge aus dem Dachfenster einer Mitarbeiterin in die Freiheit. Bisher gottlob ohne Zwischenfälle! In den letzten Tagen durften 14 Mauersegler die Reise nach Afrika antreten, darunter zu unserer großen Freude der Vorjährige Oskar aus Berlin. Die meisten Debütanten waren gerade flügge gewordene Jungsegler: Pelle der Eroberer aus Kiel, die Polen Franek und Olek, die ehemaligen "Hungerhaken" Illidan, Kalyan, Regulus, Markus, Hazel und Cesare. Priya aus Augsburg war mit Fleisch fehlernährt worden, hatte ihre Schwungfedern verloren und nachgeschoben und war nun verspätet nach längerem Training endlich flugbereit. Manches Schicksal rührte besonders an: So flog die zierliche Sesemi, eines der 4 Seglerbabies aus der legendären "KITA Sonnenschein", für ihren toten Bruder Justus, dessen Foto nun unser Facebook-Profil ziert. Jungsegler Ianthe hatte bereits einen Start hinter sich, war auf eine Terrasse gefallen und durch einen unglücklichen Zufall in einer großen Bodenvase gelandet. Hier wäre sie fast eines furchtbaren Todes gestorben: 3 Tage saß das arme Seglerkind bis zum Bauch in abgestandenem Wasser in der dunklen Vase, ehe es wie durch ein Wunder entdeckt und gerettet wurde. Panisch schreiend, eiskalt und nass wurde Ianthe bei uns abgegeben …
Zehn Tage später startete sie jubelnd in die Sonne!
Eine Wiedergeburt gab es auch für den kleinen Stuart Little. Er war so gut wie tot, als er von seinen besorgten Findern, einem jungen Ehepaar aus Wiesbaden, das sein erstes Kind erwartete, bei uns abgegeben wurde. Nur 18 g wog er noch, den Weg über die Regenbogenbrücke hatte er schon fast zurückgelegt... Immer nur in den wärmenden Händen gehalten, überlebte Stuart Little die erste Nacht. Eine ganze weitere Woche lang kämpften wir um sein verlöschendes Leben. Ganz langsam kehrte er zurück. Ein glücklicher Tag, als er zum ersten Mal um Grillen bettelte, seine Vitalität erwachte! Stuart Little wuchs zu einem kleinen, scheuen und starken Jungsegler heran, dessen erste Flugversuche im Trainingszimmer uns begeisterten. Das Leben hatte ihn wieder! Und von allen Seglern, die in den letzten Tagen den Himmel stürmten, hat uns Stuart Little wohl den schönsten Start geschenkt: Einen nicht endenwollenden Höhenflug voller Eleganz, Kraft und Souveränität, bis er in Himmelshöhe mit der Sonne verschmolz und unseren Augen entschwand. Einen besseren Schutzengel kann sich der neugeborene Sohn seiner Finder nicht wünschen …