Liebe Freundinnen und Freunde der Mauersegler!
766 Mauersegler, 8 Alpensegler und 4 Fahlsegler betreuten wir bislang in der Saison 2017, und 494 Pfleglinge konnten wir dieses Jahr schon erfolgreich freilassen. Aktuell sind noch 108 stationäre Patienten in der Mauerseglerklinik, und über 70 weitere Segler warten in angeschlossenen Pflegestellen darauf, zur Gefiedersanierung zu uns zu kommen...
Angesichts der rasant fortschreitenden Vernichtung ihrer natürlichen Lebensgrundlagen, der rücksichtslosen Zerstörung von Niststätten durch Bau- und Sanierungsarbeiten überall, angesichts der ungezählten Todesopfer, die vorsätzlich lebendig eingemauert oder mit Bauschaum erstickt werden, die an modernen Glasbauten oder im Straßenverkehr verunglücken, die von wildernden Katzen oder von ihrer natürlichen Nahrung beraubten Greifvögeln erlegt oder auf dem Zugweg von Vogelmördern abgeschossen werden, angesichts des dramatischen Rückgangs von Insekten und des flächendeckenden, gerade wieder auf EU-Ebene von geldgierigen Ignoranten sanktionierten Einsatzes hochgefährlicher Pestizide, - angesichts einer Natur also, die durch menschliches Verschulden global im Todeskampf liegt, fragen auch wir uns inzwischen: Welchen Sinn hat es noch, was wir hier tun? Warum verausgaben wir uns bis zur totalen Erschöpfung, warum geben wir all unsere Kraft und unser Herzblut, um diese wunderschönen und einzigartigen Vögel zu retten und in eine Welt hinauszuschicken, in der sie nurmehr Hunger, Leid und Tod erwarten?
Doch dann sehen wir die sehnsüchtigen Blicke unserer kleinen Wintergäste, die auf das Schiften warten, zum Fenster hin, zu ihrem Himmel. Wie sie kämpfen, eifrig ihr Training absolvieren, leben und fliegen wollen. Sie geben uns ein bewegendes Beispiel von unerschütterlichem Mut, von Vitalität und Durchhaltevermögen... Wie können WIR da aufgeben!? Und so schultern wir abermals, nach der nicht endenwollenden Arbeit des letzten Winters, die neue Saison. Und sie kommen zu Hunderten...
Da sind Altsegler wie Geronimo, der erst gegen einen Falken kämpfte und nach dem Absturz gegen eine Katze, voller Todesmut, und gerettet wurde. Wie Lirias, der immer wieder gegen das Gerüst flog, hinter dem seine Babies eingeschlossen waren, immer wieder, bis seine Flügel brachen. Wie Hero, die 3 Tage lang an einem Faden stranguliert vom Dach hing, ehe sie gerade noch lebend geborgen werden konnte. Wie Miramis, der in der tierquälerischen „Taubenabwehrpaste“ hängenblieb und mit völlig verklebtem Großgefieder zu uns kam. Wie Arsinoe, deren Schädel von Krähen aufgehackt war und die sofort eine Not-OP brauchte. Wie Samuel, dessen Nest mit Bauschaum verschlossen wurde, der mit dem Leben davonkam, aber komplett in die teuflische Substanz eingebacken war.
Und dann die Babies... Da sind Nestlinge wie Okruszek und Kruszynka, die zu Waisen geworden sind durch Baumaßnahmen, bei denen das Naturschutzgesetz mit Füßen getreten wird, und die wir halbtot hinter Gerüsten hervorgeangelt haben. Wie Mina, Justus und Amédée und zahllose andere, die aufgrund der mörderischen Hitze in ihren zu Brutöfen gewordenen Nisthöhlen den Sprung in die Tiefe wagten und überlebten. Da sind die halbverhungerten Dachboden-Findlinge wie Anoushka, Thorin, Lukas, Athanaric, da sind die schwerst fehlernährten „Reisigbesen“ mit ihren zerstörten Federn, wie Pinocchio, Erwin und Cera, da sind die Nachzügler und Spätbruten wie Linus, Auriol, Lysande, Ulysse...
Und da sind so viele Finder, die sich auf beeindruckende Weise engagieren, um hilflose Bruchpiloten zu uns zu bringen. Nestling Evita - unterirdische 16 g Federgewicht! - wird von einer hochschwangeren jungen Frau gebracht, die den langen Weg mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht scheute. Und als die lauthals um Futter bettelnde Maxine eingeliefert wird, umstehen uns drei kleine Kinder und bitten mit großen Augen um Hilfe für das Flauschkind, das sie vor ihrem Haus aufgelesen haben. Ein kerniger Geschäftsmann lässt zwei wichtige Termine sausen, weil ein hungriges Vogelbaby plötzlich wichtiger ist. Eine Familie aus Frankreich macht extra die weite Reise, um uns ihren Mauersegler Pompadour anzuvertrauen, der eine Gefiedersanierung braucht, und aus Schweden wird uns mit rückreisenden Urlaubern der bildhübsche Jungsegler Magnus geschickt. Nur wenige Beispiele von vielen, die uns tief berühren.
Und wir denken nicht mehr nach, ob es Sinn macht. Wir retten Leben. So viele wie wir können. Wir sind nicht die einzigen! Mehr und mehr private Pflegestellen in Deutschland, zusammengefasst in einer Facebook-Gruppe, ergänzen ein wachsendes Netzwerk. Im Herbst 2017 gibt die Gruppe bekannt, dass private Pflegestellen und Mauerseglerklinik zusammen bereits 1.000 Mauersegler freigelassen haben! Die internationale Zusammenarbeit weitet sich aus. Unsere rumänische Partnerorganisation in Bukarest betreut inzwischen alljährlich mehrere hundert Mauersegler und reist regelmäßig im Spätherbst nach Frankfurt, um beim Versorgen und Schiften unserer „Wintersegler“ zu helfen. In Frankreich und Italien arbeiten Rehabilitationszentren nach unserem Protokoll, und wir haben private Kontakte in zahlreiche andere Länder, sogar außerhalb von Europa. In Tel-Aviv wird 2017 das „Shmulik Swift Care Center“ aus der Taufe gehoben, das ich im Mai besuchte, um einen Alpensegler zu schiften.
Auch zur Erhaltung und zum Schutz von Mauersegler-Nistplätzen gibt es im In- und Ausland zahlreiche Anstrengungen. Während die Mauerseglerklinik verletzte und verwaiste Segler versorgt, kümmert sich Ingolf Grabow von der Frankfurter Mauersegler-Initiative „im Außendienst“ unermüdlich um deren Heimstätten und kann Ende 2017 wieder einen beeindruckenden Report vorlegen. Seine Arbeit ist dringender denn je, denn unzählige Brutplätze werden einfach wegsaniert. Schon im März liefen bei uns die Telefone heiß, noch nie wurden so viele Baustellen, Sanierungen und Abrissarbeiten gemeldet, noch nie mussten wir so oft die Behörden informieren, noch nie haben wir so viele Artenschutzverfahren angeregt und durchgeführt. Spektakulär war ein Teilerfolg in Offenburg: Hier gelang es durch hartnäckige Intervention, eine Mauersegler-Kolonie zunächst zu erhalten und die für Juli geplanten Abrissarbeiten an einem großen Gebäudekomplex um einige Monate zu verschieben, damit die Segler 2017 noch einmal brüten konnten. Für eine Kolonie in Kassel hingegen kam jede Hilfe zu spät: Hier waren im Vorjahr in einer Häuserzeile ca. 50 besetzte Mauerseglernistplätze erbarmungslos verschlossen worden. Entsetzte Vogelschützer fanden nur noch die Skelette zahlloser Nestlinge und Altvögel vor. Eine solche unfassbare Brutalität lässt uns verstummen.
Zum Glück finden sich viele Mauerseglerfreunde, die angesichts der Nistplatznot Abhilfe schaffen möchten. Um ihnen ein Angebot machen zu können, haben wir in Zusammenarbeit mit der Holzwerkstatt der JVA Heimsheim einen neuartigen und wärmeisolierten Mauerseglerbrutkasten entwickelt, der über zusätzliche Belüftungsmöglichkeiten sowie eine Starensperre verfügt und ausreichend geräumig ist. Wer Interesse an dieser „Villa Apus“ hat (Preis ca. 50 Euro), möge sich bitte per Email bei uns melden.
Während wir Ihnen allen nun eine ruhige und besinnliche Weihnachtszeit wünschen, sind wir hier in der Mauerseglerklinik weit davon entfernt: Wir fliegen wieder! Da das Wetter bereits im September einbrach, haben wir früher denn je Mauersegler zum Freilassen auf die Kanarischen Inseln ausfliegen müssen. Dort sind in den letzten Wochen 92 unserer Patienten glücklich in den sonnigen Himmel gestartet. Weitere Flüge sind bereits gebucht. Doch die Belastungen sind enorm, und die Kosten exorbitant. Unsere Kapazitäten, was Fütterung, Training und medizinische Versorgung sowie die Gefiedersanierungen angeht, sind längst überschritten. Dringend brauchen wir begeisterte und belastbare Helferinnen und Helfer. Dringend brauchen wir aber auch Mauerseglerfreunde, die uns finanziell unter die Arme und Flügel greifen. Bitte helfen Sie unseren Seglern. Damit wir noch vielen Patienten die Freiheit schenken können.
Von ganzem Herzen danken wir unseren Mitgliedern, Paten, Flugsponsoren und Förderern, unseren Mitarbeitern und Helfern, unseren Kurieren, Pflegestellen und Zulieferern sowie den zuständigen Behörden für ihre engagierte und bereitwillige Unterstützung, und ganz besonders der Stiftung ProArtenvielfalt, die uns als eines ihrer Pilotprojekte seit vielen Jahren maßgeblich finanziert.
Ihnen allen frohe Weihnachten und ein glückliches neues Jahr!
Der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Mauersegler e.V. und das Team der Mauerseglerklinik Frankfurt
Dr. med. vet. Christiane Haupt, 1. Vorsitzende